"MELODRAMA ist der letzte Teil einer Trilogie, die mit MADAGASCAR von Fernando Pérez und QUIÉREME Y VERÁS von Daniel Díaz Torres 1995 im Forum einen erfolgreichen Auftakt fand. Ursprünglich sollte der Film ESTADO DE TIEMPO (WETTERBERICHT) heißen, denn er handelt von Esperanza, die im Fernsehen das Wetter verkündet. Außerdem ermöglicht das turbulente Geschehen, das sie um sich herum entfesselt, manch absurden Blick auf die gesellschaftliche Wetterlage. Esperanza ist seit fünf Jahren mit einem Bürokraten verheiratet und will endlich ein Kind haben, egal von wem, weil sie sich einbildet, daß sie nur noch ein Jahr zu leben hat.
Eine Geschichte für ein Melodrama, doch Rolando Díaz gestaltet sie zu einer jener kubanischen Alltagskomödien, die seit den achtziger Jahren dazu dienen, Kritik an den Zuständen darstellbar zu machen und auf ungewöhnliche gesellschaftliche Phänomene, nicht zuletzt Deformationen, hinzweisen. Seine Esperanza, die sich aus einem Wahn heraus entschließt, `gute Hoffnung' zu werden, beansprucht plötzlich ein selbstbestimmtes Sexualleben - etwas das für die Machos um sie herum selbstverständlich ist. Sie kehrt zwar das traditionelle Rollenverhalten nicht gänzlich um, unternimmt aber einen entschiedenen Schritt. Ihre kuriosen Begegnungen dienen Rolando Díaz dazu, in die kubanische Gegenwart mit ihren Versorgungsnöten, dem Schwarzmarkt und der Doppelmoral hineinzuleuchten. Sein ironischer Blick und der doppelbödige musikalische Kommentar des Sängers Pedro Luis Ferrer machen aus diesem komischen Melodrama einen bittersüßen Zustandsbericht."
Internationales Forum des Jungen Films, Freunde der Deutschen Kinemathek: 26. Internationales Forum des Jungen Films, Berlin 1996, Informationsblatt Nr. 38
"LA OLA fügte auf intellektuelle Weise verschiedene Aspekte unserer Realität zusammen, während MELODRAMA von Rolando Díaz und QUIÉREME Y VERÁS von Daniel Díaz Torres, die ganz konkreten Facetten der Wirklichkeit zeigen - vom Schwarzmarkt bis zu den Stromsperren. Dies ist aber nicht der entscheidende Aspekt der Geschichten, die sie erzählen, sondern vielmehr Teil ihrer humorvollen Mileauschilderungen.
Beide Filme, die jeweils weniger als eine Stunde dauern, sind Teil eines Projektes, zu dem auch MADAGASCAR von Fernando Pérez gehört. Es ist bedauerlich, daß man dieses Projekt nicht als Ganzes präsentierte, aber dazu hätte es einer Kürzung der drei Filme bedurft. Aber vielleicht wären dann auch die Bezüge zwischen den einzelnen Filmen verständlicher geworden.
MELODRAMA ist ein klassischer Almodóvar, jedoch verwässert durch das karibische Kolorit und die Geständnisse der Protagonisten vor den Fernsehkameras. Trotzdem erzählt Díaz seine Geschichte besser, mit größerer technischer und künstlerischer Strenge als in seinen vorangegangenen Arbeiten. Er schildert die Konflikte einer Meteorologin, die die Meldungen im Fernsehen mit verhaltener Leidenschaft vorträgt und sich eines schönen Tages von ihrem impotenten Ehemann trennt, um sich in anderen Betten ihr Bedürfnis nach Zärtlichkeit und ihren Kinderwunsch erfüllen zu lassen. Es gibt eine nur grob ausgearbeitete Parallelgeschichte, die im Fernsehsender spielt und das Unverständnis zeigen soll, dem sich eine junge Journalistin gegenübersieht, wenn sie über Themen berichten will, die sie interessant findet. Als eine Art Außensicht und bestimmt durch einen kritischen, depressiv-spöttischen Grundton findet sich hierin auch die soziale Realität wieder. Was dem Film gut getan hätte - oder auch nicht - und was eigentlich die Kritik übernehmen müßte, bleibt letztendlich am Zuschauer und seinen analytischen Fähigkeiten hängen: Angesichts der Fülle dessen, was der Film ihm bietet, muß er selbst Tiefsinn von Oberflächlichem trennen."
Rolando Pérez Betancourt in: Granma, La Habana, 12.12.1996. (Zit. n. Internationales Forum des Jungen Films, Freunde der Deutschen Kinemathek: 26. Internationales Forum des Jungen Films, Berlin 1996 Informationsblatt Nr. 38)
"Wenn ein Film am Ende einer Vorstellung mit donnerndem Applaus aufgenommen wird, ist das nicht unbedingt ein Zeichen für Qualität. Ist aber beides tatsächlich der Fall, können sich alle glücklich schätzen.
MELODRAMA von Rolando Díaz war eine positive Überraschung, denn gewisse Befürchtungen hatten den Zuschauer das Schlimmste erwarten lassen. Aber selbst wenn sie sich bewahrheitet hätten, sind dergleiche festgefügte Vorstellungen nicht zu rechtfertigen. Und so sehr uns auch das Kino gefällt, das LA OLA oder PON TU PENSAMIENTO EN MÉ repräsentiert, so wenig sollten wir vergessen, daß dies nur eine Seite der Medaille ist: Der Humor, von dem GUANTANAMERA, trotz aller Schematisierungen, lebt, oder der Film, der uns hier beschäftigt - all das weckt bestimmte Erwartungen hinsichtlich der ästhetischen Möglichkeiten des Regisseurs.
Nun gut: Die Farce der pessimistischen Meteorologin, die sich ein Kind wünscht, läßt ihrer Vitalität freien Lauf, sie begibt sich auf Eros' befreiende Pfade. Das läßt auf eine vergleichsweise postive Entwicklung von Rolando Díaz als Drehbuchautor schließen.
Der derbe infantile Humor in LOS PÁJAROS TIRANDOLES A LA ESCOPETA oder die linkische Erzählweise in LA VIDA EN ROSA (zwei frühere Spielfilme von Rolando Díaz aus den Jahren 1983 bzw. 1988, Anm. der Red.) sind diesmal durch eine gelunge Geschichte ersetzt, durch sensiblen Humor, einen ungezwungen Umgang mit den sexuellen Begegnungen und durch geschicktes Lavieren durch die modischen postmodernen Koordinaten von Zitaten und Intertextualität.
Natürlich erscheint der lokale Bezug auf die 'spezielle Periode', die Straßenmärkte oder die Santería (als ob dies das einzige Identitätsmerkmal wäre) als notwendige 'tour de force'. Läßt man aber solche Konzessionen einmal beiseite, muß man für den Witz jener vielfach aus Bolero-(Lied)Texten gestalteten Dialoge dankbar sein oder für die Bilder, die eine Art Hommage ergeben: ATAME, MADAGASCAR oder QUIÉREME Y VERÁS erscheinen spielerisch in die Wechselfälle und Wortspiele dieses Melos eingebunden.
Eine weitere interessante Ebene von MELODRAMA stellt die Musik von Pedro Luis Ferrer dar (dieser populäre Sänger, der nur selten in Kuba auftreten kann, ist hier zum ersten Mal in einem kubanischen Film zu sehen, Anm. d. Red.). Der Liedermacher hat die Intentionen des Filmemachers sehr gekonnt umgesetzt und fügt ihr eine doppelte und sogar dreifache parodistische Komponente hinzu. Er begnügt sich nicht mit seinem beißenden Witz, sondern unterstreicht noch die filmische Erzählweise, indem er sie mit der 'guaracha' zusätzlich ironisiert oder den Bolero parodiert. So setzt er den Kitsch als scharfe Waffe ein. Wie selbstverständlich tritt er live auf, fast immer direkt vor einer unsäglichen Fernsehdekoration, die uns vorkommt, wie die ersehnte (Blut-)Rache für alles, was uns das Medium Fernsehen angetan hat. Die Photographie ist bewußt flach, grell und glänzend: wie eine Pralinenpackung. Zusammen mit dem gewandten Schnitt von Osvaldo Donatién unterstreicht sie die filmische Intention, zusätzlich unterstützt durch das erstaunlich homogene, hervorragende schauspielerische Niveau: Verónica López ist eine 'Baßbuffo' wie ihn unser Kino nicht kannte. Ihre fast shakespearesche Palette und ihre darstellerische Fähigkeiten kommen der Figur der 'tragische Hure' zugute, die sie zu verkörpern hat. Gemeinsam mit ihr schaffen Héctor Eduardo Suárez, Maria Isabel Díaz, Humberto Páez und Carlos Cruz einen dichten und überzeugenden Film.
Mit seinem vierten Spielfilm beweißt Rolando Díaz, daß jenes alte poetische Sentenz (der Weg ist das Ziel) mehr ist als nur ein schöner Vers - und gleichzeitig hat das kubanische Kino damit einen beachtlichen Sieg errungen."
Frank Padrón in: Festival Nr. 8, La Habana 12. Dezember 1995 (zit. n. Internationales Forum des Jungen Films, Freunde der Deutschen Kinemathek: 26. Internationales Forum des Jungen Films, Berlin 1996 Informationsblatt Nr. 38)
"Esperanza ist die Wetterfröschin im kubanischen Fernsehen. Eines Abends bringt sie ihre Vorhersage über bevorstehende Unwetter und Regengüsse nicht zu Ende. Sie kollabiert vor laufender Kamera und wird ins Krankenhaus fahren. Die Wortfetzten, die sie dort aufschnappt, lassen sie zu der Überzeugung gelangen, daß ihre Tage gezählt seien und daß sie nur noch ein Jahr zu leben habe. Nichts kann sie davon abbringen. Schon gar nicht ihr briefmarkensammelnder Ehemann, mit dem sie seit fünf Jahren verheiratet ist und der inzwischen gar keine Anstalten mehr macht, ihr ihren Herzenwunsch zu erfüllen: Esperanza - Hoffnung - will um jeden Preis ein Kind haben. Da ihre Tage gezählt sind, ist ihr völlig egal, vom wem.
Um ihr Ziel zu erreichen, entfesselt Esperanza eine Reihe turbulenter Geschichten, mit denen der 49-jährige Rolando Díaz den ZuschauerInnen allerlei Einblicke in die Absurdität der gesellschaftlichen Großwetterlage auf der Karibikinsel bietet. Der Wahn Esperanzas, ihren Namen alle Ehre zu machen und 'gute Hoffnung' zu werden, bringt sie zu einem selbstbestimmten Sexualleben, das zwar für die lateinamerikanischen Männer selbstverständlich ist, aber Frauen in den machistischen Gesellschaften nicht zusteht. Zunächst macht sie sich an einen gutaussehenden Kollegen aus dem Fernsehstudio heran und landet trotz dessen Gegenwehr letztlich in seinem Bett. Als sie ihrem Gatten den Entschluß mitteilt, um jeden Preis ein Kind in die Welt zu setzen, auf das sie ihre ganze Hoffnung richtet, erwacht auch bei ihm der lange und schlummernde Wunsch und allenfalls heimlich ausgelebte Trieb. Und er möchte bei der Auswahl des Kindsvater beteiligt sein. Obwohl Esperanza alles genau plant und das Zusammentreffen mit ihrem Liebhaber kunstvoll inszeniert hat, tritt auf einmal ein dritter Mann auf den Plan. Und die verworrene Geschichte nimmt unaufhaltsam ihren Lauf.
Der perfekte Stoff für ein Melodrama, in dessen Mittelpunkt die tragische, immer gehetzt wirkende Esperanza steht, deren fatales Ende festzustehen scheint. Mit ihrer Arbeit ist sie ebenso unglücklich wie mit ihrem Eheleben, das Unglück folgt ihr dicht auf den Fersen. Rolando Díaz macht aus dieser Geschichte eine jener kubanischen Alltagskomödien, mit denen in den letzten Jahren Kritik an den bestehenden Verhältnissen auf die Kinoleinwände tranportiert wird. Durch die teilweise skuriellen Begegnungen erfahren die ZuschauerInnen etwas über die Versorungsengpässe im Kuba der 90er Jahre, über die Entwicklung des Schwarzmarktes und seine wachsende Bedeutung für die Versorgung der Bevölkerung. Mit bissiger Ironie beleuchtet Díaz die MeinungsmacherInnen im Fernsehen und die Doppelmoral, die in den kubanischen Verhältnissen durchscheint. Die anspielungsreichen musikalischen Hintergrundkommentare des bekannten kritischen Liedermachers Pedro Luis Ferrer geben dem komischen, fast burlesken Melodrama einen oftmals bitteren Beigeschmack.
Eigentlich war MELODRAMA als dritter Teil einer Trilogie über Havanna und den kubanischen Alltag geplant. Die beiden ersten Teile MADAGASCAR (Regie: Fernando Pérez) und QUIÉREME Y VERÁS (Regie Daniel Díaz Torres) wurden bereits im Rahmen des letztjährigen Forums der Berlinale vorgestellt (...). MELODRÁMA geriet vorübergehend in Vergessenheit, bis er für das diesjährige Forum ausgesucht und Ende letzten Jahres beim Filmfestival in Havanna gezeigt wurde. Alle drei Filme haben die ungewöhnliche Länge von rund fünfzig Minuten, was wohl mit der ursprünglichen Konzeption eines dreiteiligen Opus über die real existierenden kubanischen Alltagsprobleme und -sorgen zusammenhängt. Zumindest die BerlinerInnen werden in diesem Jahr die Möglichkeit haben alle drei Filme auf einmal zu sehen. Aus Anlaß des hundertsten Geburtstages des lateinamerikanischen Films sollen sie im Sommer im Kino 'Arsenal' laufen. 3 x 50 Minuten Kuba wie es leibt und lebt - das sollten sich nicht nur eingefleischte CineastInnen auf keinen Fall entgehen lassen."
Jens Holst in: Lateinamerika Nachrichten Nr. 261, März 1996 S. 38-39
"Es geht um Esperanza, die Frau eines Funktionärs, die sich nach fünf Jahren Ehe ein Kind wünscht, da sie glaubt, nur noch ein Jahr zu leben. In Kuba wird er Film fast als 'Dissidentenfilm' gehandelt. Als der Regisseur bei einem privaten Besuch in Miami eine Videokopie des Films in einer halböffentlichen Vorführung zeigte, kommentierte dies die überwiegend antikommunistische Presse der Exilkubaner, und das staatliche kubanische Filminstitut (ICAIC) protestierte heftig. Was auch ein Beispiel ist für die komplexe Struktur der Beziehungen zwischen dem offiziellen Kuba und der kubanischen Gemeinschaft im US-amerikanischen Miami."
Wolfgang Martin Hamdorf: Karibikträume. Der kubanische Film heute. In: Filmdienst Nr. 10 1996, S. 37-39
MELODRAMA funktioniert auf vielen Ebenen: "Als populäres, farbiges und sinnenfrohes Unterhaltungsspektakel, als ironisch überdrehte, genußvoll melodramatische Beziehungskomödie im Stile Almodrovar - und als brisante politische Satire über den Ausverkauf aller bisherigen Wertvorstellungen."
Beat Borter. in: CineVision, Insbruck 1996, S. 19
Lateinamerika Nachrichten: "Woher stammt die Idee für den Film MELODRAMA?"
Rolando Díaz: "Es ist der vierte Film für den ich das Drehbuch geschrieben habe. Er ist eigentlich der dritte Teil einer Trilogie über die Stadt Havanna, die aus MADAGASCAR, QUIÉREME Y VERÁS und MELODRAMA besteht. Eigentlich wollten wir diesen dreiteiligen Film 'Wettervorhersage' nennen. Wegen des Länge des Themas und auch aufgrund des offziellen Wunsches der Behörden, den Film zu teilen, sind die Geschichten auseinandergerissen worden. Mein Film bleibt dabei etwas in der Luft hängen. Zumindest über ein Jahr lang, bis er letzlich von der Berlinale für das Internationale Forum ausgewählt wurde. Zu dem Zeitpunkt war er noch nicht gezeigt worden, mittlerweile ist er aber auch auf dem Filmfestival in Havanna gelaufen. Er wurde sehr postiv aufgenommen, und darüber habe ich mich natürlich gefreut. Die kubanischen Behörden haben sich jetzt zum Glück dafür entschieden, daß der Film in Berlin gezeigt wird. Er ist hier, und ich bin sehr zufrieden darüber."
Lateinamerika Nachrichten: "Wo liegen die Verbindungen zu den beiden anderen Filmen dieses Dreierwerks?"
Rolando Díaz: "In meinem Film fallen zwei Fernsehreportagen der Zensur zum Opfer. Zum einen die über die Selbstmöderin, die versucht zu fliegen, also herauszufordern, die Dinge anderes zu sehen, und zum anderen die über jene alte Frau, die auf dem Schwarzmarkt Geschäfte macht. Beide sind die zentralen Figuren in den beiden anderen Filmen und tauchen in MELODRAMA wieder auf."
Lateinamerika Nachrichten: "Warum hast Du diesen Titel gewählt."
Rolando Díaz: "Selbstverständlich im ironischen Sinne dieses Genres. Ich hatte die Absicht, eine telenovela zu drehen, das heißt, ich wollte den Rahmen der telenovela aufgreifen und eine Parodie darüber machen. Neben der allgegenwärtigen Tragödie des drohenden Todes, dem ständigen Wunsch nach Leben, ist der Film durchsetzt von Allgemeinplätzen, verbunden mit einer bildhaften Darstellung der heutigen kubanischen Wirklichkeit. Ich wollte dieser Realität einen melodramatischen Anstrich geben. Aus dem Versuch, sich ihr mit ironischem, komödiantischen, burleskem, spielerischem Unterton zu nähern, ist dieses Produkt entstanden, das für mich letztlich eine spöttische Komödie über das Leben einer Frau im heutigen Havanna geworden ist."
Lateinamerika Nachrichten: "Die Wettervorhersage der Hauptfigur Esperanza nimmt in dem Film eine unvorhersehbare Wende. Gibt es einen Zusammenhang mit der kubanischen Wirklichkeit?"
Rolando Díaz: "Ich denke schon. Das ist natürlich nicht zufällig, und darum sollte der Film ja auch 'Wettervorhersage' heißen. Darüber waren wir uns alle einig, als er als zusammenhängender Film geplant war und wir alle voll dahinter standen. Dieser Filmtitel war natürlich eine klare Anspielung auf das Unwetter, von dem die kubanische Nation heimgesucht wurde. In dem Film regnet es dauernd, andauernd ist schlechtes Wetter. Wir KubanerInnen sind vielen Zweifeln und einer großen Verwirrung ausgesetzt. Das ist völlig klar, das sagen sogar die PolitikerInnen. Havanna steht repräsentativ für eine Stadt, die von dieser Verwirrung im ganzen Land gefangen ist. Der ursprüngliche Filmtitel 'Wettervorhersage' hat sehr viel damit zu tun. Dieser Komödie entsprechend ist der Wetterbericht auch voller Ironie. Die Farbe der Insel, die Hilfsmittel, die Esperanza dabei benutzt, sind eine offene Ironie sowohl für das Drama, in dem wir leben, als auch für die Kritik am Fernsehen, das die Dinge so darstellt, wie sie die MacherInnen sie sehen, und zwar nicht nur in Kuba, wo ich es am besten kenne."
Lateinamerika Nachrichten: "Die Kritik an der Zensur im kubanischen Fernsehen ist ja überdeutlich!"
Rolando Díaz: "Das ist aber gar nicht meine Absicht. Zweifelos enthält der Film eine solche Kritik, schließlich fliegt Esperanza aus dem Studio, sie muß das Fernsehen verlassen. So daß ihr nicht anderes bleibt, als ihr Geld auf dem Schwarzmarkt, auf der Straße zu verdienen. Das ist eine offene deutliche Kritik, da muß man nichts verbergen, aber es ist eine Kritik, die die Leute in Kuba sehr gut kennen. Das Fernsehen ist ein sehr eingeschränktes Medium, und tatsächlich verbirgt es zu viel von der Wirklichkeit. In einer besonders schwierigen Phase gab es auf der Insel einen sehr populären Witz, wo einige Leute auf die Straße gehen, um Lebensmittel einzukaufen, Fleisch, Obst, Gemüse. Sie bekommen zu hören: «hier gibt es nichts, wir haben doch diese ernorme Lebensmittelknappheit.» Ihre Reaktionen: «Aber wieso, hol es Dir einfach beim Fernsehen. Da gibt es alles, die Fernsehnachrichten sind voller Kartoffeln, Mangos, all das was man nirgends sieht.»
Das ist sozusagen 'Positivzensur'...
Die Zensorin Caridad, die ständig hinter Esperanza steht und die kritische Journalistin Fe verfolgt, tut das ja deshalb, weil sie daran glaubt, daß die Kartoffelernte um 100 Prozent übererfüllt wurde, weil sie glaubt, daß man das sagen muß. Wichtige Leute im Fernsehen und Stellvertreter der Moral in Kuba sind die beiden verantwortlichen Nachrichtenredakteure, die man nie zu sehen bekommt und deren Kommentare man hört. Und sie kommentieren alltägliche Dinge, wo es was auf dem Schwarzmarkt zu kaufen gibt, was es wieder für eine Scheiße zu essen gab. Sie reden in einer Sprache, als ob sie wirkliche Personen wären. Und in der Abschlußszene haben sie Angst, wegen des Zwischenfalls mit Esperanza gefeuert oder abgeholt zu werden. Sie sind Instrumente eines Apparats, der größer ist als sie, und auch viel größer als der Programmdirektor der Region, der zum Schluß zu der aufmüpfigen Mitarbeiterin Fe sagt: «Ich bin schon lange in diesem Geschäft, ich weiß sehr genau, was man sagen kann und was nicht.» Und darum bringt er seine naive, aber sehr klare Position vor, daß alte Leute keine Geschäfte auf dem Schwarzmarkt machten, daß die Alten gut, anständig und glücklich sein. Das ist ein ganz plumpe Art der Manipulation, aber leider ist es wirklich so in der kubanischen Nachrichtenrealität."
Lateinamerika Nachrichten: "Esperanza, die melodramatische Hauptfigur, organisiert sich binnen kurzem drei Liebhaber, ihren Mann eingeschlossen. Wirkt ein solches Verhalten bei einer Frau nicht schockierend in der machistischen kubanischen Gesellschaft?"
Rolando Díaz: "Ich glaube nicht, schließlich wird das ja sehr humorvoll, sehr ironisch, sozusagen durch ein Prisma der Spötterei dargestellt. Die männliche Charaktere werden wie Karikaturen gezeichnet, vor allen der Ehemann, der das beste Beispiel für die Parodie in diesem Film ist. Gerade das gefällt mir besonders an der Geschichte. Die arme Frau, der so viele schreckliche Dinge passieren, findet schließlich ihr Glück und ihre ihre eigene Verwirklichung beim Sex. Die kubanische Gesellschaft hat in diesem Punkt eine relativ liberale Einstellung. Und der Machismo ist in Kuba nicht schlimmer als anderswo in Lateinamerika. In diesem Sinne muß man sagen, daß die kubanisches Revolution e ine relative Unabhängigkeit der Frauen beim Recht auf Arbeit, Leben und eigene Persönlichkeit hinterlassen hat. Das sind reale und unbestreitbare Fakten, und das bedingt auch ein bestimmte Denkweise."
Lateinamerika Nachrichten: "Immer wieder ruft Esperanza: «Ich werde ein Kind bekommen!» Welche Bedeutung hat dieser Satz?"
Rolando Díaz: "Für mich ist er ein wichtiger Eckpunkt in der dramatischen Struktur des Films. Die Leute sollen deutlich den Wunsch dieser Frau mitbekommen, ein Kind zu haben. Für sie muß es entscheidend sein, ein Kind zu bekommen. Dadurch wird sie ihr Glück erreichen, vor allem in dem Durcheinander, das sie umgibt. Sie glaubt nicht an ihre Arbeit, sie ist unglücklich mit ihrem Mann, sie ist das Opfer einer Reihe von Rückschlägen und Geschichten in einer Welt, an die sie ohnehin kaum glaubt. Das einzige, was diese Frau für sich klar hat, ist, daß sie ein Kind bekommen will. Und ein Kind zu empfangen, das ihr Hoffnung geben kann, ist das einzige, was ihr das Weiterleben mit einem gewissen Glauben ermöglicht."
Lateinamerika Nachrichten: "Was ist für Dich die wichtigste Botschaft Deines Filmes?"
Rolando Díaz: "Ich wollte eine Hommage an all die Menschen machen, die trotz allen Unglücks, das ihnen widerfährt, weiterleben wollen. Es ist ein Film über die Liebe zum Kampf ums Überleben, über die Zuversicht inmitten widriger Lebensumstände, die offensichtlich ganz schrecklich sind, in dem Film aber auf die Schippe genommen werden. Für mich ist es hauptsächlich eine Hommage an all die, die versuchen zu überleben, die sich durchschlagen, in dem sie ein Paar Schuhe verkaufen, um sich einen Hut leisten zu können, die den Hut für zwei Tomaten weiterverkaufen. In dem Film taucht eine ironische Episode auf, für die ich verantwortlich bin und die kaum wahrgenommen wird. Es vergehen zwei oder drei Jahre vom Anfang bis zum Ende der Geschichte. Und die Dinge bleiben absolut gleich. Der Film beginnt mit einer Einstellung von der Altstadt Havannas und mit der Stimme eines Bewohners: «Kubanerin beeil dich, der Roman fängt gleich an!» Drei Jahre später, als Esperanza bereits ein Kind hat und nicht mehr beim Fernsehen arbeitet, ruft dieselbe Stimme: «Kubanerin, beeil Dich, der Roman ist zuende!». Das heißt, die Geschichte dauert drei Jahre, sie kann auch zehn, fünfzehn Jahre dauern. Die Menschen, die ums Überleben kämpfen, kümmern sich nicht mehr darum, man muß für den Tag leben. Darum macht die kritische Journalistin auch eine Kneipe auf, die viel einträglicher und viel weniger problembeladen ist, wo die Leute Bier trinken, tanzen und den Tag gut sein lassen können. Und der Arzt verkauft zusammen mit Esperanza Santería-Artikel, er ist gleichzeitig Arzt und Medizinmann. Es ist ein Film über die Leute, die innerhalb Kubas einen Ausweg suchen, die versuchen, in einem System zu überleben, dem sie mit großen Zweifeln begegnen. Ich würde nicht sagen, daß die Bevölkerung die Regierung ablehnt, aber sie hegt im Augenblick starke Zweifel. Sie ist desorientiert."
Lateinamerika Nachrichten: "Wie wurde der Film in Kuba aufgenommen? Wie haben die Leute darauf reagiert?"
Rolando Díaz: "In Kuba kann ich nur von der bisher einzigen Vorstellung reden, die es offiziell auf dem Filmfestival in Havanna gab. Das war um zehn morgens, der größte Kinosaal der Festspiele war proppevoll, und für mich war es absolut beeindruckend. Ich war natürlich total aufregt, weil der Film zum ersten Mal in Kuba gezeigt wurde, und wollte wissen, wie er ankommen würde. Die ganze Sache war nämlich deshalb für mich als Filmemacher belastend, weil der Film im September 1994 fertiggestellt worden war, es aber bis März 1995 in Kuba keine Kopien gab und er dort erst Ende Dezember gezeigt wurde. Auf jeden Fall was es für mich ein großartiges Gefühl zu sehen, wie der Film aufgenommen wurde. Mich hat es besonders gefreut, daß das ZDF eine Reportage über die Aufführung des Filmes und alles, was damit zusammenhing, gedreht hat, und er schließlich hier in Berlin auf dem Forum gezeigt wurde."
Lateinamerika Nachrichten: "Wie hat das Publikum in Berlin auf Deinen Film MELODRAMA reagiert?"
Rolando Díaz: "Ich bin wirklich beeindruckt von der Resonanz, gestern gab es gar nicht genug Plätze für alle Zuschauer, die den Film sehen wollten. Mich hat dabei besonders gefreut zu sehen, daß dieser Film auch von einem Publikum positiv aufgenommen wurde, für das die KubanerInnen weit weg sind. Denn der Film handelt zwar in erster Linie von kubanischen Problemen, aber er sollte natürlich auch für ein internationales Publikum verständlich sein. Sonst macht das ja keinen Sinn, Kunst zu machen.
Viele Anspielungen sind allerdings nur für die Menschen verständlich, die die Schwierigkeiten in Kuba täglich am eigenen Leib spüren."
Lateinamerika Nachrichten: "Hat das nicht doch einen Einfluß auf die internationalen Verkaufschancen von MELODRAMA?"
Rolando Díaz: "Das entzieht sich leider meinem Einfluß. Mein eigener Eindruck nach den Vorstellungen hier in Berlin ist, daß dieser Unterschied nicht allzu einschränkend ist. Zumindest das lateinamerikainteressierte Publikum wird diesen Film garantiert annehmen. Ich bin natürlich auch davon überzeugt, daß sich das normale Berliner Publikum, das keinen Zugang zu unserer Kultur hat, den Film weniger ansehen wird. Das weiß ich aber nicht so genau. Zumindest das Forum-Publikum nimmt diesen Film sehr positiv auf und versteht erstaunlich viel Anspielungen. Andere entgehen den Leuten hier natürlich, dafür bekommen sie wiederum ganz subtile Dinge mit, die den KubanerInnen entgehen. Da ist zum Beispiel die Szene über die Ermüdungserscheinungen in der Ehe, wo Esperanza alle Bewegungen ihres Mannes in und auswendig kennt. Die Leute verstehen hier besser, was ich damit sagen will.
Aber wie gesagt, das Problem des Verkaufs eines Filmes entzieht sich meinem Zugriff. Das hat etwas mit der Länge eines Filmes zu tun, hängt von den Verkaufstechniken ab. Ich fände es natürlich toll, wenn wir hier einen Filmverleih finden würden."
Interview Jens Holst. In: Lateinamerika Nachrichten Nr. 261, März 1996, S. 39-42
"Rolando Díaz wurde 1947 in La Habana/Kuba geboren. Seit 1969 war er im ICAIC (kubanisches Filminstitut) tätigt, wo er eine praktische Ausbildung erhielt und 1976 seinen ersten Dokumentarfilm drehen konnte. Daneben absolvierte er ein Kunst- und Literaturstudium an der Universität von La Habana, das er 1975 abschloß. Insgesamt drehte er fünfzehn Dokumentarfilme und mehr als achtzig Ausgaben des NOTICIERO ICAIC LATINAMERICANO, der berühmten Wochenschau, die von Santiago Alvarez geleitet wurde, sowie vier Spielfilme. Er ist Drehbuchautor u.a. von PATTY CANDELA. 1986 schrieb er für das Theater die Musikkomödie Con la múscia a otra parte. Seit 1982 lehrt er an verschiedenen kubanischen und lateinamerikanischen Institutionen. Zahlreiche journalistische Beiträge zu Fragen des Films stammen von ihm. Er ist Mitglied des kubanischen Schriftsteller- und Künstlerverbands UNEAC und der spanischen Autorenvereinigung SGAE. Seit 1994 lebt Díaz auf Teneriffe, Spanien."
Internationales Forum des Jungen Films, Freunde der Deutschen Kinemathek: 26. Internationales Forum des Jungen Films, Berlin 1996 Informationsblatt Nr. 38
Last update: 18.1.2016